Stellungnahme der AGOT-NRW zum Antrag der Piratenfraktion „Kinderrechte wirklich umsetzen!“ im Rahmen der Anhörung am 20. November 2014 im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend des Landes NRW

An die Mitglieder des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend des Landes NRW An das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes NRW

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

am 20. November 1989 trat die „UN-Konvention über die Rechte des Kindes“ in Kraft; sie wird also am Tag der Anhörung 25 Jahre alt. Die Arbeitsgemeinschaft Offene Türen NRW e.V. (AGOT-NRW) begrüßt die Entscheidung des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend, eine Anhörung zum Antrag der Piraten-Fraktion „Kinderrechte wirklich umsetzen!“ abzuhalten. Insbesondere bezüglich der Bekanntmachung der Kinderrechte und ihrer Berücksichtigung in der (sozial-)pädagogischen Arbeit vor Ort besteht aus der Perspektive der Offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Diskussions- und Handlungsbedarf. Die Spanne zwischen der verbindlichen Rechtsnorm und ihrer Umsetzung durch die Akteure vor Ort ist breit gefächert.

 

Aus Sicht der AGOT-NRW werden die Rechte der Kinder in einem großen Teil der Konzeptionen und Leitbilder der Offenen Einrichtungen in NRW bereits grundlegend beachtet und ausdrücklich eingebunden. Das Gleiche gilt nach Meinung der AGOT-NRW für die Fachkompetenz der (Sozial-)Pädagog_innen vor Ort. Offene Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wird von den allermeisten Fachkräften als sozialraum-orientierte Beziehungsarbeit mit u.a. sozialpolitischem Auftrag verstanden, womit sie in ihrer konzeptionellen und praktischen

 

Arbeit bereits gemäß ihrer Profession einen engen Bezug zu den

 

Kinderrechten hat. Zudem gibt das geltende deutsche Recht,

 

insbesondere das Kinder- und Jugendhilfegesetz (bspw. § 8) den

 

Trägern vor Ort klare Vorgaben, die Rechte des Kindes

 

anzuerkennen, wertzuschätzen und Wege für eine bedarfs- und

 

lebensraumorientierte Umsetzung zu finden.

 

Die vorliegenden Forderungen laufen in den Augen der AGOT-NRW

 

hingegen Gefahr, überall dort, wo Kinderrechte noch nicht fester

 

Bestandteil einer konzeptionell fundierten (sozial-)pädagogischen

 

Alltagspraxis sind, eine Alibifunktion zu erfüllen, weil sie nicht

 

garantieren (können), dass Vermittlung und Umsetzung der

 

Kinderrechte von Seiten der Fachkräfte internalisiert werden.

 

Die konsequente Umsetzung der ungeteilten und unveräußerlichen

 

Rechte für Kinder in unserer Gesellschaft ist eine sicherzustellende

 

Qualität Sozialer Arbeit, die sich vor allem darin äußert, ob und

 

inwieweit Politik Rahmenbedingungen zur Verfügung stellt, die es den

 

Akteuren und Verantwortlichen vor Ort in der Einrichtung und in der

 

Kommune erlaubt, genau jene Rechte umzusetzen. Es genügt nicht,

 

Rechte zu proklamieren, wenn ihre Umsetzung vor Ort strukturell nicht

 

gewährleistet ist.

 

Der Schwerpunkt von gesetzgebenden Maßnahmen sollte daher nicht

 

auf den Konzeptionen und Leitbildern in den Einrichtungen vor Ort,

 

sondern auf der Stärkung der strukturellen Rahmenbedingungen

 

liegen, in denen Kinderrechte operationalisiert werden können.

 

Für den Bereich der Offenen Kinder- und Jugendarbeit bedeutet dies:

 

- Grundsätzlich eine bessere Ausstattung des Kinder- und

 

Jugendförderplanes des Landes NRW.

 

- Die Implementierung von Kinderrechten als weiteren

 

Förderschwerpunkt im Kinder- und Jugendförderplan des Landes

 

NRW.

 

- Die Förderung von theoretisch, methodisch und empirisch

 

fundierten Leuchtturmprojekten zum Thema Kinderrechte.

 

- Stärker werdendes Raumgreifen von Schule eindämmen.

 

Die bessere Nutzung vorhandener Möglichkeiten zur Umsetzung der Kinderrechte (z.B. in den Bereichen Beteiligung, Bildung, Bekämpfung von Armut).

 

- Eine praxisnahe Vermittlung von relevanten Gesetztestexten und -passagen und ihrer Bedeutung für die soziale Profession in der Ausbildung von (Sozial-)pädagogischen Fachkräften.

 

- Kinderrechte ins Grundgesetz!

 

Anstelle einer zu den Kinderrechten geschulten Fachkraft bedarf es einer gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsgemeinschaft, die die Rechte des Kindes ernst- und wahrnimmt. Der AGOT-NRW geht es weniger um die Implementierung formeller Vorgaben, sondern um die politischen Herausforderungen, die hinter der Umsetzung der Kinderrechte stehen.

 

So steht nicht alleine das Feld der Sozialen Arbeit in der Verantwortung, Kinderrechte bekannt zu machen und umzusetzen, sondern gerade auch Politik, Verwaltung und Medien. Ämter und Behörden sorgen für Rahmenbedingungen für das Wohlergehen für Kinder; hier arbeiten jedoch selten Fachkräfte der Sozialen Arbeit. Ämter und Behörden erschweren und verletzen die Umsetzung der Kinderrechte, z.B. indem ihnen Leistungen vorenthalten werden.

 

Die Verwirklichung von Kinderrechten steht aus Sicht der Offenen Arbeit in einem engen Zusammenhang mit gestaltbaren Freiräumen, in denen Kinder und Jugendliche selbstbestimmt leben können, und ist im Kontext sozialer Ungleichheit zu sehen. Daher kommt bspw. dem „Bündnis für Freiräume“ eine große landesweite Bedeutung bei der „Rückeroberung“ der Zeit- und Handlungssouveränität für Kinder und Jugendliche zu.

 

Nicht zuletzt stößt die Offene Arbeit an ihre Grenzen, wenn sozialpolitische Standards so niedrig sind, dass Kinderarmut Tür und Tor geöffnet und mit eher stigmatisierenden, wirkungsarmen Instrumenten zu bekämpfen versucht wird (vgl. Bildungs- und Teilhabepakete).